Bibliographie

Ronald Berg: Die Freiheit der Fotografen, Reportage als Kunst und Kunst als Reportage. zitty Berlin, April 2007 <<

Für Jörn Vanhöfen ist der Fotojournalismus tot - zumindest in Deutschland. Vanhöfen hat als Fotojournalist für Zeitschriften wie „Geo", „Merian" oder „Stern" gearbeitet und war eigentlich ganz gut im Geschäft, bis er 2002 seine Arbeit für die Magazine einstellte. Er wollte sich nicht mehr sagen lassen, wie und was er zu fotografieren habe. Damit ist Vanhöfen nicht der einzige. Es gibt zwei gegenläufige Tendenzen in der Fotografie: Aus der Reportage wird Kunst, und Künstler fotografieren dokumentarisch. Was geht hier vor: Cross-Over, eine Auflösung der Genres oder ein Ausstieg der Reportage aus den klassischen Printmedien? Vanhöfen zeigt seine freien Arbeiten inzwischen in Galerien. Doch eine gewisse Nähe zur Reportage ist geblieben. Allerdings mischt sich die in seiner „Disaster"- Serie, die jetzt in der Galerie Kuckei+Kuckei zu sehen ist, mit einem elegischem Unterton, der Schwierigkeiten hätte, auf die Seiten der Magazine zu kommen. Einer der großformatigen Farbabzüge zeigt ein gestrandetes Passagierschiff im milden Abendlicht. Das Heck des rostigen Schiffskadavers ist bereits verschwunden. Ähnlich lapidar lichtete Vanhöfen einen Berg von zusammengepressten Blechwürfeln ab. Jedes der fahl-rosa beschienenen Schrottpakete war einmal ein Opel. Produktionsfehler machten die Karossen zur Ausschussware. Nimmt man Licht, Komposition und Motiv dieser Bilder zusammen, erinnert vieles an Caspar David Friedrichs Gemälde „Gescheiterte Hoffnung". Die romantische Stimmung der Vergeblichkeit des Seglers, den Friedrich in Eisschollen halb versinken ließ, findet sich auch in Vanhöfens Fotos wieder. Die „Desaster" zeigen eine Welt, in der die zivilisatorischen Katastrophen alltäglich sind: Scheitern, Niedergang und Opfer offenbaren sich als Kehrseite des irnmerforten Werdens. Sogar das urromantische Motiv der Ruine findet bei Vanhöfen seine zeitgemäße Entsprechung. Nicht im waldigen Mondschein wie bei Friedrich, sondern in der Dämmerung des großstädtischen Berlins erhebt sich der monumentale Rohbau des nicht vollendeten Investorenprojekts an der Landsberger Allee in den Himmel. Der Kontrast zu den angestrahlten Werbetafeln am Fuß des Betonskeletts steigert noch das Vanitas-Motiv der Koinzidenz von Werden und Vergehen.

Einem ähnlichen Motiv ist Birgit Schlieps in Aktau nachgegangen. Die Großstadt zwischen kasachischer Steppe und Kaspischem Meer ist eine Erfindung der 60er Jahre, als in der Nähe Uran gefunden wurden. Es entstand eine modernistische Idealstadt aus Plattenbauten. Seit dem Ende der Sowjetunion und dem Auffinden neuer Ölvorkommen okkupieren Hotelanlagen und Villenneubauten das Stadtgebiet. Auch hier sorgen die im locker gefügten Stadtbild immer präsente Steppe, der weite Himmel und das angrenzende Meer für eine Relativierung des menschlichen Wirkens. Vor diesem Naturhintergrund zeigen Schlieps' Farbfotos, die in den letzten sechs Jahren entstanden und nun in der Galerie Zwinger zu sehen sind, das Werden und Vergehen als Überwucherung des Alten durch das Neue. Die erodierenden Plattenbauten bekommen neue Anbauten, und die kitschigen Neubauten mit ihrem Stilmischmasch besetzen die struppigen Freiflachen der Stadt.

Man könnte Schlieps' Fotos als Reportage lesen. Nicht aber in Zeitschriften hat Schlieps ihre Bilder veröffentlicht, sondern in einem Buch. Darin finden sich auch ihre eigenen Zeichnungen, Interviews mit Architekten und Bewohnern von Aktau, ein erklärendes Glossar und eine Dokumentation ihrer künstlerischen Recherche, die sie auch zu europäischen Planstädten wie Hoyerswerda oder dem finnischen Tapiola geführt hat. Rohmodelle, so der Titel des Buches, verdeutlicht aber nicht nur einen Wandel in den Städten, sondern auch in der Fotografie. Wie bei Vanhöfen zeigt sich bei Schlieps, dass die Fotoreportage ab einer bestimmten Komplexität und selbst bestimmten Inhaltlichkeit zu einer anderen Dimension durchstößt und folgerichtig nur noch im Kunstkontext reüssieren kann.

Bis 5.5.: Jörn Vanhöfen. Galerie Kuckei + Kuckei, Linienstr. 158, Mitte, Di – Fr 11 – 18, Sa 11 – 17 Uhr
Bis 19.5.: Birgit Schlieps. Zwinger Galerie, Gipsstr. 3, Di – Fr 14 – 19, Sa 12 – 18 Uhr
Fotos: Gescheiterte Hoffnung vor den Kanaren: Jan Vanhöfens »Spanien #33", 2003; Geplatzte Utopie in Aktau: Birgit Schlieps' »Tiffany«, 2005/2007.